Warum WeChat bald WhatsApp ablösen wird…
…und auch in Europa und auf der ganzen Welt zum Standard werden wird!
Seit April 2015 arbeite ich in China als Account- und Projektmanager einer digitalen Kommunikationsagentur und nutze daher fast ausnahmslos WeChat – privat aber auch beruflich. Nebenbei verfolge von Zeit zu Zeit die Berichterstattung rund um digitale Themen in Deutschland, indem ich mein Flipboard checke und bei Twitter reinschaue (Facebook dient eher der Unterhaltung). Dort lese ich dann, wie Blogs und Unternehmen stolz verkünden, dass ihre Inhalte nun auch über WhatsApp abonnierbar sind (z.B. Basic Thinking oder Sport1). Und dass es ein österreichisches Unternehmen gibt, das das Payback-Modell in die Anonymität bringt und damit den Datenschutz deutlich verbessert. Hier noch eine Übersicht wie Unternehmen derzeit WhatsApp nutzen (und welche technischen Tücken dabei im Weg stehen).
Ihr ahnt es schon: Das sind alles Funktionen, die es bereits seit einiger Zeit in der WeChat-App (chinesischer Name: 微信, WeiXin) des Unternehmens Tencent gibt. Die Standardfunktionen von WhatsApp wie die Nutzung von Gruppen, Sprachnachrichten* und nun auch Video-Anrufe usw. gibt es alle auch bei WeChat, das im Januar 2011 als Klon von WhatsApp gestartet ist. Schon nach kurzer Zeit aber hat sich die App dermaßen weiterentwickelt, dass sie deutlich mehr und bessere Funktionen halt als das Vorbild. Die Faktoren Sicherheit und Datenschutz komplett außer Acht gelassen (auch wenn sich beide hierbei wahrscheinlich nicht einmal großartig unterscheiden).
Hier ein paar beindruckende Statistiken zu WeChat.
WeChat = WhatsApp, Facebook und PayPal
Aber es gibt in WeChat auch die so genannten „Momente“, was im Grunde nichts anders ist als eine Mischung aus Facebook-Chronik, Instagram- oder Twitter-Stream. Das absolute Highlight ist jedoch das „Wallet“, also eine Art digitale Brieftasche, die im Prinzip genauso wie PayPal funktioniert: Man verknüpft sein WeChat-Konto mit einer Bank- oder Kreditkarte und überweist Geld auf sein Wallet (funktioniert aktuell nur in China mit lokalen Bankkarten). Nun kann man mit dem Smartphone ziemlich ALLES damit kaufen oder bezahlen und das ist nicht übertrieben.
Hier einige der Wallet-Funktionen in WeChat:
- im Supermarkt bezahlen (per QR Code Scan)
- Flug- und Bahn-Tickets kaufen
- Stromrechnung bezahlen
- Prepaid SIM-Karten aufladen
- Taxi bestellen und bezahlen
- Strafzettel bezahlen
- Kinoplätze/Tickets reservieren (und bezahlen)
- Geld spenden
Screenshots zur Geldbörse in WeChat:
Europäische Inseln
Wenn man sich nun im Vergleich dazu sämtliche Insellösungen in Europa anschaut, dann kann man sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen. Ok, Europa ist seit der digitalen Revolution nie so richtig zum Vorreiter in Sachen Software und Geschäftsmodelle geworden, denn gefühlte 99% der Innovationen kommen aus dem Silikon Valley. Auf der anderen Seite zeigt es, wie schnell die digitale Transformation in Asien voranschreitet und so langsam zum Überholen ansetzt (oder schon mittendrin ist), auch wenn die Voraussetzungen komplett andere waren/sind und diverse Technologien übersprungen wurden, ist es trotzdem beeindruckend.
Erst Plagiat, dann Vorreiter
Anderseits ist WeChat auch das beste Gegenbeispiel für alle Kritiker, die den Chinesen vorwerfen, alles zu kopieren und dabei nur halb so gute Qualität abzuliefern und nicht innovativ zu sein. Jeder kennt sicherlich das bekannte konfuzianische Sprichwort: „Wer große Meister kopiert, erweist ihnen Ehre“. Doch dabei bleibt es nicht (immer), die Chinesen nutzen die Kopie als Ausgangspunkt und erweitern diese dann, und wenn es nur zu einer deutlichen günstigeren Herstellung führt. Und wer jetzt trotzdem noch meckert, sollte sich lieber mal die Geschichte unseres deutschen Qualitätssiegels Made in Germany durchlesen.
Entweder WhatsApp zieht nach – oder wird überholt
Im Prinzip kann ich WhatsApp nur raten, die oben genannten Funktionen für den „westlichen Markt“ zu adaptieren und integrieren, um überhaupt wettbewerbsfähig gegenüber WeChat zu bleiben. Noch profitiert WhatsApp vom so genannten Netzwerkeffekt, nämlich dass Nutzer nicht zu einer anderen App wechseln, weil sämtliche eigenen Freunde bei WhatsApp sind und niemand die neue App nutzt. Aber sobald dieser Prozess einmal begonnen hat, ist er kaum noch aufzuhalten, stimmt’s StudiVZ?
Wenn man sieht, dass AliPay (der konkurrierende Bezahldienst von Alibaba) auch über eine Expansion in den Westen nachdenkt und bereits in einem Geschäft am Frankfurter Flughafen verfügbar ist, dann ist auch eine Expansion von WeChat nicht unwahrscheinlich.
Zum Abschluss ein paar Fragen an euch:
- Welche Funktionen würdet ihr euch für WhatsApp wünschen, die es derzeit noch nicht gibt?
- Würdet ihr auf WeChat umsteigen, wenn es alle oben genannten Funktionen auch in Deutschland gäbe?
- Oder nur wenn eure Freunde es auch tun?
- Oder sollten wir lieber komplett auf Whatsapp und WeChat verzichten?
P.s.: In China werden so viele Gutscheine, kostenlose Produkte oder andere Vergünstigungen per Scan eines QR-Codes getätigt, dass eine Ansammlung von solchen Promo-Ständen auch „QR Code Strasse“ genannt wird. 🙂
* Exkurs:
Selbst ihre Textnachrichten schreiben viele Chinesen mit einer T9-Tastatur statt QWERTZ/Y, um möglichst schnell zu sein. Aber Sprachnachrichten sind in China extrem beliebt und werden häufiger verschickt als Textnachrichten. Warum? Weil es deutlich schneller geht als einen Text zu schreiben – und man kann eine Sprachnachricht mit einer Hand aufnehmen und versenden, z.B. während man Auto oder Fahrrad fährt (auch wenn das natürlich nicht zu empfehlen ist). Und so sieht man im Alltag immer wieder Menschen, die ihr Smartphone irgendwie schräg an ihren Mund halten und vor sich hin reden…